Jahrhundertelang haben sich Philosophen und Theologen den Kopf darüber zerbrochen, ob eine Schöpfung aus dem Nichts (Creatio ex nihilo) möglich sein kann. «Aus nichts kann man nichts machen», stellt König Lear in Shakespeares gleichnamiger Tragödie fest. Bis heute besteht weder dazu Einigkeit, noch darüber was das Nichts überhaupt sein könnte.

Keine Probleme mit dem Erschaffen aus dem Nichts haben die Banken. Wird ein Kredit benötigt, dann – Schwupps – entsteht der gewünschte Betrag – früher mit einem Federstrich und heute per Knopfdruck. So schöpfen die Banken täglich Geld quasi aus dem Nichts, lediglich ein kleiner Anteil muss dafür mit Eigenmitteln hinterlegt sein. Bargeld macht denn auch nur einen kleinen Teil der Geldmenge aus, 90 Prozent ist virtuell.

Virtuelle Geldschöpfung führt zu realer Wertschöpfung

Natürlich schöpfen die Banken dieses neue Geld erst, wenn sie überzeugt davon sind, dass der bloss in den Büchern existierende Betrag nach und nach mit realen Werten zuzüglich der vereinbarten Zinsen zurückgezahlt wird. Denn nichts anderes ist der Kredit (aus dem Lateinischen «credere», glauben), nämlich Glauben schenken, dass die Kreditnehmenden ihre Schulden bei ihren Gläubigern dereinst tilgen werden.

Daran ist zunächst einmal nichts auszusetzen, sofern dies in tragbarem Masse getan wird: Diese Kompetenz benötigen Banken, um ihrem Kerngeschäft, der Vergabe von Krediten, überhaupt nachgehen zu können: Familien erhalten eine Hypothek für den Bau ihres Eigenheims oder ein KMU kann sich eine neue Maschine anschaffen. So wird Wertschöpfung und damit Mehrwert ermöglicht.

Gesellschaftliches Vorschussvertrauen

Dieser Mechanismus wird gerne missverstanden, wenn auch nicht von der geneigten Leserschaft der Handelszeitung, so doch wahrscheinlich von der Mehrheit der Bevölkerung, die sich nicht eingehend mit der Materie befasst. Gemeinhin geht man davon aus, dass nur angesparte Einlagen der Kund:innen mit Überschussliquidität an die Kundschaft ausgeliehen würden, welche akuten Geldbedarf hat.

Dabei wird übersehen, dass diese von der gesamten Gesellschaft an die Banken delegierte Aufgabe der Geldschöpfung ein unglaublich weitreichendes, mächtiges Privileg darstellt. Die Bedingungen, welche durch die Banken an die Kreditvergaben geknüpft werden, haben ganz konkrete soziale, ökologische und realwirtschaftliche Konsequenzen. Und wer sich in diesem Umfeld persönlich und unverschämt bereichert, lässt jegliche Sensibilität im Umgang mit diesem gesellschaftlichen Vorschussvertrauen vermissen.

Exorbitante Entschädigungen und astronomische Boni stehen deshalb schräg in der Landschaft und lassen sich nicht rechtfertigen. Noch viel weniger, wenn bei solch unverschämter Vergütung und ohne tatsächliche Verantwortungsübernahme statt konstruktiv Geld geschöpft und verwaltet, existenziell gefährlich Wert vernichtet wird.

Es ist diese schamlose Selbstbedienungsmentalität, die das Vertrauen in die Institute untergräbt und ihnen damit, wie wir am Untergang der Credit Suisse gesehen haben, eines Tages auch die Fortführung ihres Kerngeschäfts verunmöglicht.

Bald liegt der Bericht der parlamentarischen Untersuchungskommission zum Credit Suisse-Desaster vor. Danach beginnt die politische Auseinandersetzung darüber, welche Regeln wir anpassen müssen, damit uns nicht die nächste Finanzkrise um die Ohren fliegt. Die Vermeidung von Fehlanreizen und feudalen Vergütungssystemen müssen dabei eine gewichtige Rolle spielen. Es braucht Vergütungs- und Boniobergrenzen, schliesslich hantieren die Grossbanken nicht nur mit gewichtigen, exklusiven Werkzeugen, sondern auch faktisch mit Staatsgarantie. Und Leistungserfolg darf sich nicht alleine finanziell bemessen, sondern muss sich an der langfristigen Wirkung auf die Realwirtschaft und dem Gemeinwohl orientieren.

Mit den Finanzmarktprivilegien geht eine grosse Verantwortung einher für unseren Wirtschaftsstandort. Sie sollten nur jenen in die Hand gegeben werden, die dieser Verantwortung gerecht werden und ihre Tätigkeit mit einer gewissen Demut ausüben wollen. Der Narr im King Lear gibt seinem Chef eine Definition dafür, was «Mehrwert» ist, sinngemäss: «Benimm dich anständig, und du wirst mehr haben als zwei Zehner auf Zwanzig.» Lear, der die Weisheit nicht versteht und untergehen wird, antwortet: «Das ist nichts.»

Hinweis: Dieser Text ist als Gastbeitrag in der Zeitschrift Agéfi erschienen