Unsere Vorfahren standen vor etwas über hundert Jahren vor einer grossen, ökologischen Herausforderung. Damals reifte die Erkenntnis, dass der Wald nicht rücksichtslos verbraucht werden kann, sondern ein Gleichgewicht zwischen Nutzung und Erhalt gefunden werden muss. Denn durch die zu intensive Holznutzung waren gerade Alpentäler immer weniger von Unwettern geschützt. Das hat 1919 zu dem weltweit ersten, strengen Waldschutzgesetz geführt, auf das wir in der Schweiz zu Recht stolz sind. Von dieser Weitsicht profitieren wir bis heute: Ohne diese Wälder wären die Murgänge, wie wir sie in zum Beispiel in Brienz auch diesen Sommer wieder erlebt haben, noch brachialer und zerstörerischer ins Tal gedonnert.

Wir befinden uns heute in einer ähnlichen Situation: Die Medaille des Wirtschafts- und Ernährungswunders des letzten Jahrhunderts, das für mehr Menschen denn je und auf der ganzen Welt gesunde Nahrung und wirtschaftliche Prosperität geschaffen hat, hat eine Kehrseite: einen geschundenen Planeten. Die Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle, der Landverbrauch für Strassen, Gebäude, Infrastrukturen und für die Landwirtschaft hat über Jahrzehnte an unserer ökologischen Lebensgrundlage gezehrt und die Natur aus dem Gleichgewicht und ans Limit gebracht.

Auch wenn einige Entwicklungen in eine gute Richtung zeigen, wie beispielsweise in der Renaturierung von Flussläufen oder der Erholung der Bestände gewisser Tierarten, so ist die Bilanz insgesamt negativ – auch in der Schweiz. Und zwar deutlich negativ, wie uns auch die Wissenschaft unmissverständlich klar macht: Natur darf nicht einfach nur mehr konsumiert, sondern muss in unser Leben und in die Wirtschaft reintegriert werden. Die gute Nachricht: Die Natur ist dabei unsere Verbündete! Die Leistungen, welche uns die Umwelt Freihaus liefert, sind enorm. Ein paar Beispiele gefällig?

  • Die Kühlleistung einer ausgewachsenen Eiche ist so gross, wie die von rund 300 Kühlschränken. 
  • Artenreiche landwirtschaftlich genutzte Böden erzeugen nährstoffreichere Lebensmittel, halten Trockenheit und Starkniederschlägen besser stand und bauen Pestizide einfacher ab.
  • Die Arbeit der Insekten zur Bestäubung von Nutzpflanzen wird alleine in der Schweiz auf einen Wert von jährlich mehreren hundert Millionen Franken geschätzt.

Der Bundesrat rechnet ab 2050 sogar mit jährlich gigantischen 14-16 Milliarden Franken Folgekosten, wenn wir nicht handeln. Eine intakte Natur rechnet sich also! Wenn diese Leistungen auch unseren Kindern und Kindeskindern erhalten bleiben sollen, müssen wir jetzt handeln. Es geht beim Schutz der Artenvielfalt auch nicht nur um ausgeschiedene Flächen, sondern um die Qualität des grossen Ganzen. Artenvielfalt kann – ja muss! – nämlich genauso in den Siedlungsgebieten, Gewerbezonen oder der Landwirtschaft stattfinden und nicht nur in ausgewählten Reservaten.

Unser Konsum, unsere Mobilität unser Wirtschaften ist noch nicht umweltkompatibel, noch nicht ökologisch nachhaltig. Daran müssen wir arbeiten. Wer, wenn nicht die Schweiz, mit einer Innovationskraft unserer KMU und Industrie, einer Bildungslandschaft und soliden öffentlichen Finanzen, um welche uns viele Länder beneiden, kann zukunftsfähige Lösungen entwickeln? Und genau das will die Biodiversitäts-Initiative fördern.

Ich persönlich finde das inspirierend und ich möchte meinen Beitrag als Politiker, als Unternehmer, als Vater leisten. Ich habe Lust, an dieser Zukunft zu bauen. Wir haben es jetzt in der Hand als Willensnation – als Willensgesellschaft – eine Weitsicht an Tag zu legen, wie seinerzeit unsere Vorfahren. Sie hatten damals die Weichen so gestellt, dass wir heute noch davon profitieren. Auf dieser Grundlage und in diesem Sinn und Geiste sollten auch wir heute ebenfalls zukunftsfähige, wirtschaftlich, ökologisch und gesellschaftlich nachhaltige Entscheidungen treffen. Denn wir tragen heute die Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft unserer Nachfahren.