
Digitalisierung, wir müssen reden
Die Digitalisierung hat es über mindestens zwei Jahrzehnte geschafft, unter dem Radar des ökologischen Fussabdrucks zu surfen. Das Versprechen war ja auch bestechend: Mit der Digitalisierung liessen sich künftig ganz viele Dinge viel ökologischer erledigen als bisher. Deshalb sei sie zentral für eine nachhaltige Entwicklung. Einen Brief physisch von A nach B versenden ist energetisch viel aufwändiger als ein E-Mailversand; ein Video-Meeting ein Klacks verglichen mit den Autofahrten der Teilnehmenden zum Sitzungszimmer der Firma. Und ohne Digitalisierung ist keine dezentrale, erneuerbare Energieproduktion möglich. So weit so nachvollziehbar.
Weil digital aber vieles so praktisch und nahezu in Echtzeit möglich ist, benutzen wir diese Infrastrukturen immer intensiver. Das führt dazu, dass die Digitalisierung bis jetzt weitgehend ein Nullsummenspiel war: Energie- und Ressourceneffizienz wird durch neue Anwendungen neutralisiert, ein typischer, sogenannter Rebound-Effekt. Endlose Socialmedia-Video Feeds oder Kryptowährungen mit höchstens minimal erkennbarem oder sogar massiv negativem gesellschaftlichen und realwirtschaftlichem Nutzen machen aber einen wesentlichen Teil des Ressourcenhungers der Branche aus. Im Gegensatz zur restlichen Wirtschaft hat es die Digitalisierung bisher noch weniger geschafft, ihr Wachstum vom CO2-Ausstoss zu entkoppeln. Das zeigt eine Metastudien-Auswertung der Berner Fachhochschule eindrücklich. Das KI-Wettrennen wird diesen negativen Trend voraussichtlich noch verstärken.
Die Frage soll also erlaubt sein, ob seltene Erden, rarer Strom und begrenzte finanzielle Mittel nicht besser für die dringend benötigten Dinge eingesetzt werden sollten. “Das Eine tun, das Andere nicht lassen” oder “Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren”, lauten die Einwände dagegen. Natürlich ist Digitalisierung überall drin. Natürlich geht es nicht ohne sie. Es fehlt aber eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema, nicht nur in der Schweiz. Politische Forderungen sind auf dem Weg, weil es letztlich ja auch um digitale Souveränität geht. Die Europäische Union zeigt ihre Muskeln und will die de facto Monopolisten mit strengen Auflagen herausfordern. Auch der Bundesrat will demnächst aufzeigen, wie er die übermächtigen Plattformen regulieren will. Eine Vielzahl an Vorstössen zu digitalen Themen werden derzeit von Ratsmitgliedern aus allen Parteien eingereicht, meine Wenigkeit eingeschlossen.
Wir brauchen eine Digitalisierung, welche die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt, die ökologischen, planetaren Grenzen respektiert und sich nicht lediglich an einem möglichst kurzfristig finanziell einträglichen Geschäftsmodell orientiert. Eine Digitalisierung, welche tatsächlich hilft, den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und eine Kreislaufwirtschaft der kurzen Wege zu etablieren. Das Thema ist definitiv in der Politik angekommen und damit endlich auch ein Bewusstsein, negativen Auswirkungen der Digitalisierung auf Mensch und Umwelt entgegenzuwirken. Und gerade weil ich dich mag, muss das sein, liebe Digitalisierung.
Hinweis: Dieser Text ist als Gastbeitrag in der Zeitschrift Agéfi erschienen