Am 5. November 2021 durfte ich mich am diesjährigen Andermatt Dialog zum Thema Reputation Management zu folgender Frage äussern: Darf man den Unternehmensverantwortlichen nicht vertrauen? Hier meine Rede:

Geschätzte Unternehmerinnen, CEOs und Wirtschaftskader, geschätzte Anwesende, ja, diese Frage, die mir aus dem heutigen Programm aufgetragen wurde, muss ich mir natürlich zuallererst höchst persönlich gefallen lassen. Schliesslich habe ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten selber ein Digitalisierungsunternehmen mit heute über 200 Mitarbeitenden an sechs Standorten in der Schweiz gegründet und mitaufgebaut.
Nun steht es natürlich nicht mir zu, meine eigene Vertrauenswürdigkeit einzuschätzen. Aber wir können gerne über die Vertrauenswürdigkeit einzelner CEOs und VRPs sinnieren. Es macht wohl einfach kaum einen Unterschied in der Debatte, wie es generell um die Vertrauenswürdigkeit insbesondere ganz grosser Firmen oder ganzer Branchen bestellt ist. Denn CEOs und VRPs sind letztlich genauso vertrauenswürdig, wie es unser Wirtschaftssystem zulässt und fördert.

Aber wieso steht das Vertrauen in Unternehmen und Unternehmensverantwortliche überhaupt zur Debatte? Schliesslich ist die wirtschaftliche Prosperität seit der Nachkriegszeit beispiellos. Der Zugewinn an Lebensqualität für ganz viele Menschen auf diesem Planeten ist im Rückspiegel betrachtet atemberaubend.

Versagen der modernen Marktwirtschaft

Die Kehrseite des Jahrhundert-Wirtschaftswunders ist jedoch ein geschundener Planet auf desaströsem Erwärmungspfad. Ungebremst wird immer noch mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre gepumpt, immer noch mehr Kulturland versiegelt und Biodiversität verschwindet für immer. Der immense Artenschwund wird mittlerweile – bestätigt durch diverse wissenschaftliche Studien – als sechstes, erdgeschichtliches Massensterben eingeordnet. Und all diese negativen Effekte sind vorwiegend einer menschlichen Evolutionsphase geschuldet, welche mit der industriellen Revolution begonnen hat.

Die moderne Marktwirtschaft hat es ganz offensichtlich nicht geschafft, ökologisch, aber auch sozial nachhaltige Geschäftsmodelle zum Standard werden zu lassen. Und die Politik hat versäumt, diese einzufordern. Mit Verlaub, aber ich vertraue “diesem Markt” nicht, dass er aus innerem Trieb heraus und ohne Einmischung der Politik die Probleme dieser Welt löst, auch wenn ich mich als Unternehmer selber dieser Marktwirtschaft zugehörig fühle.

Aber was ist der Grund dafür, dass die Menschheit sich in einer Situation befindet, welche ihre eigene Existenz bedroht, und welche Rolle spielt dabei die Wirtschaft? Die kürzeste Antwort: Externe Kosten wirtschaftlicher Aktivität wurden ignoriert und auf die Gesellschaft, andere Länder oder nächste Generationen überwälzt. Zuweilen aus Unwissen über nachgelagerte Effekte, vielfach aber auch durch gezielte politische Einflussnahme ganzer Branchen. Ein wirklich liberaler Markt würde ja ganzheitlich in den Preis einbeziehen müssen, was an Kosten der Wirtschaftstätigkeit anfallen.

Märkte, die Kosten der Umweltverschmutzung oder soziale Konsequenzen prekärer Löhne nicht in ihre Produkte und Dienstleistungen einpreisen müssen, werden protegiert und bessergestellt als solche, welche diese “de facto Subventionen” nicht erhalten. Dabei profitieren in der Regel die Akteure, die bereits im Markt installiert sind und politischen Einfluss etabliert haben, damit der Status quo auch so bleiben möge. Gerade letzteres ist mein Alltag in Bern.

Vertrauen durch Wirkungstransparenz

Verstehen Sie mich nicht falsch: Mich interessiert das Suchen nach den Schuldigen nicht besonders. Unsere heutige Situation ist einem gesamtgesellschaftlichen Versagen geschuldet. Ein Versagen, aus welchem wir lernen können, ja lernen müssen. Denn heute wissen wir Menschen zum Glück viel mehr über komplexe physikalische, ökologische oder soziale Zusammenhänge.

Klug umgesetzt, lässt sich diese Menschheitskrise, welche mittelfristig sowieso in eine wirtschaftliche Krise mündet, in eine Chance ummünzen. Vertrauen durch Wirkungstransparenz ist die Währung dafür.

Wer es schafft, Vertrauen systemisch verbindlich umzusetzen, wird dereinst einen Vorteil einfahren und eine führende Rolle einnehmen. Sei dies als Unternehmen oder als ganzes Land.

Derzeit sind ja bereits unzählige Bestrebungen im Gang, Wirkung von Wirtschaftstätigkeit auf Mensch und Umwelt zu systematisieren. Und das ist eigentlich gut so.

Weil das aber zuweilen allzu sportlich und oft nicht sorgfältig gemacht wird, werden die Menschen mit Greenwashing an der Nase herumgeführt. Gerade der Finanzmarkt ist aktuell diesem Vorwurf ausgesetzt, zumal verschiedene Studien die Wirkungslosigkeit oder sogar Schädlichkeit vermeintlich nachhaltiger Finanzprodukte belegen. Damit wird wiederum Vertrauen verspielt. Und es zeigt auch, dass das Vorhaben nicht von jedem Unternehmen alleine gestemmt werden kann und wohl auch nicht sollte. Und ohne staatliche Legitimation auch kaum Breitenwirkung entfalten wird.

Plädoyer für Unternehmenswirkungsbuchhaltung

Meine Damen und Herren, deshalb plädiere ich für eine verbindliche, evidenzbasierte und transparente “Unternehmenswirkungsbuchhaltung”. Ähnlich wie wir es uns von den Unternehmensfinanzen gewohnt sind, sollten Unternehmen, aber auch die öffentliche Hand, ihre Wirkung dereinst auf Mensch und Umwelt systematisch und vergleichbar ausweisen. Ein Unternehmen, das eine positive Nachhaltigkeitswirkung ausweisen kann, wird einen Wettbewerbsvorteil erfahren. Und wer mit seiner Nachhaltigkeitsrechnung zu stark ins Minus fällt, muss die Bilanz deponieren. Eigentlich ist das eine logische Konsequenz von Corporate Social Responsability.

Nun werden Sie wohl zu Recht einwenden, dass mit dem CO2-Gesetz der liberale Ansatz der Internalisierung der Klimaveränderungskosten gescheitert ist. Das stimmt natürlich. Als reiches und innovatives Land haben wir mit diesem Zufallsergebnis an der Urne allem vor an einen Gesichtsverlust eingefahren. Der Megatrend einer nachhaltigen Entwicklung wird damit nicht gebremst. Die Bepreisung wird für uns einfach von anderen, grösseren Kräften wie der EU aufgedrückt.

Drei starke Trümpfe

Deshalb bleibt die Frage der Wirkung und der Deklaration davon akut. Für ein Land wie die Schweiz sehe ich enormes Potential. Und ich bin der Überzeugung, dass wir drei starke Trümpfe in der Hand haben:

  • Erstens wäre da das Wissen und auch Erfahrung rund um Nachhaltigkeit. Die Schweiz war vor über hundert Jahren weitsichtiger als alle anderen Länder und hat nachhaltige Waldnutzung ins Gesetz geschrieben. Im Baubereich gehört die Schweiz zu den technologisch wohl am weitest fortgeschrittenen Ländern. Die Schweiz spielt als eines der innovativsten Länder – mit einem beneidenswerten Werkplatz, dem Bildungssystem und den Bildungsinstitutionen – in der ersten Liga.
  • Zweitens können wir uns als Dienstleistungsland mit wenig grossen schweren Industrien einen entspannteren und damit ehrlichen, wissenschaftlichen Blick auf evidenzbasierte Nachhaltigkeitsmessung leisten. Sind es doch in der EU bspw. Atom- oder Holzindustrie-intensive Länder, welche das Megaprojekt einer Nachhaltigkeitstaxonomie verpolitisieren und damit das Projekt als Ganzes gefährden. Und weil wir in der Schweiz eine prinzipienbasierte Gesetzgebungskultur leben, schaffen wir wahrscheinlich auch eine weniger bürokratische Umsetzung als bspw. die EU.
  • Dann haben wir drittens mit einem der grössten Finanzplätze der Welt eine Branche, welche sowieso nicht umhinkommen wird, nachhaltige Investitionen als solche vertrauenswürdig dingfest zu machen, will sie ihren Führungsanspruch in diesem Markt verwirklichen. Dabei dürfte uns auch in die Hände spielen, dass die Schweiz mit der Gesetzesanpassung für attraktive Blockchain-Rahmenbedingungen einen techno-regulatorischen Trumpf geschaffen hat. Ist doch das Schöne an der Blockchaintechnologie, Vertrauen systematisch und ohne Intermediäre “verbriefen” zu können. Und damit auch skalierbar. Das ist eine unbedingt notwendige Voraussetzung für eine Wirkungsbuchhaltung, die sich idealerweise über die Lieferketten hinweg bis auf Produktebene automatisch aggregiert.

Von der fossilen Einwegwirtschaft zur erneuerbaren Kreislaufwirtschaft

Geschätzte Anwesende, ich glaube an die Kraft der Unternehmen beim Umbau der fossilen Einwegwirtschaft hin zu einer erneuerbaren Kreislaufwirtschaft. Und ich bin bereit zu Vertrauen. Dann nämlich, wenn sich die Verbände für eine evidenzbasierte und damit nicht politisch motivierte, verbindliche Nachhaltigkeitsdefinition und Mindeststandards einsetzen und helfen, diese umzusetzen. Dann wird es auch einfacher, den CEOs und VRPs höchstpersönlich zu vertrauen.