Seit der Finanzkrise 2008 musste die Schweizer Nationalbank epochale Herausforderungen stemmen. Bei aller Kritik an der Währungshüterin, zum Beispiel im Zusammenhang mit den Bankenrettungen oder der Frankenstärke, hat die Schweiz gut abgeschnitten. Auch wegen der Nationalbankpolitik.

Die Bank bleibt aber weiterhin gefordert. Denn mit dem Erfolg der Schweiz ist auch die Komplexität der Währungs- und Anlagepolitik gestiegen und die SNB-Bilanz geradezu explodiert. In den vergangenen rund 15 Jahren hat sie sich auf über 1000 Milliarden Franken verzehnfacht.

Um ihre Bilanzrisiken besser austarieren zu können, legt die SNB Gelder vermehrt auch in ausländischen Unternehmensaktien an. Und das in ebenfalls eindrücklichem Stil: Mit rund 200 Milliarden Franken ist die Bank heute am Aktienmarkt engagiert und verwaltet damit einen der weltweit grössten de facto Staatsfonds. Alleine der Dividendenertrag aus diesen Firmenaktien beläuft sich in den vergangenen zehn Jahren auf 28 Milliarden Franken.

Damit rücken diese Anlagen vermehrt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Mit gutem Grund. Denn so immens grosse Anlagen wirken auf verschiedenen Ebenen.

Egal wie passiv, realwirtschaftlich repräsentativ und neutral die Nationalbank diese Aktien zu bewirtschaften versucht, Wirkung auf die Aktienmärkte und damit auf die Wirtschaft und die Gesellschaft entfalten die Anlageentscheidungen des SNB-Dreierdirektoriums durch die schiere Grösse der Anlagen genauso wie solche von anderen institutionellen Grossanlegerinnen. Neutralität am Finanzmarkt gibt es nicht, höchstens als Mythos.

Auch die Nationalbank hat Anlagerichtlinien. Richtlinien, die sie zum Ausschluss von Unternehmen, welche “international geächtete Waffen produzieren, grundlegende Menschenrechte massiv verletzen oder systematisch gravierende Umweltschäden verursachen“, zwingt. Das SNB-Dreierdirektorium definiert darauf aufbauend Kriterien, welche, wie die Bank selber erklärt, den “grundlegenden Normen und Werte der Schweiz” entsprächen. Aus diesem Grund hat die Führung zum Beispiel entschieden, keine hauptsächlich Kohle fördernden Firmen mehr zu finanzieren. Es sei weitgehend Konsens in der Schweiz, dass Kohleabbau nicht mehr unterstützt werden solle.

Nun ist natürlich zu begrüssen, dass die SNB aus der Kohle aussteigt. Aber was genau sind diese “Werte der Schweiz”? Wie schafft es die SNB herauszufinden, dass Konsens über den Ausstieg aus Kohle herrsche? Wie sieht es denn bei dem bedenklichen Abbau von Teersand, dem sogenannten Fracking, aus?  Und wie steht es um die Normen der Schweiz? Die Schweiz hat sich der UNO Agenda 2030 verschrieben oder das Pariser Klimaabkommen ratifiziert. Müssten diese Vereinbarungen nicht systematisch Einzug in die Anlagerichtlinien finden? Und wenn heikle Titel im Portfolio verbleiben, sollten dann nicht wenigstens die Aktionärsrechte aktiv im Sinne der Werte und Normen der Schweiz wahrgenommen werden? Im Geschäftsbericht gibt die Bank Hinweise darauf. Transparent nachvollziehen lässt sich das alles jedoch nicht.

Zugegebenermassen sind die Antworten auf all diese Fragen höchst anspruchsvoll. Genau darum täte die SNB gut daran, jetzt eine ganzheitliche und  nachweislich mit den Schweizer Werten, Normen und Verpflichtungen kompatible Anlagepolitik zu entwickeln. Und das geht nur durch mehr Transparenz und Einbezug von vielfältigeren Wertvorstellungen in den Entscheidungsgremien. Die SNB braucht einen breit abgestützten Ethikrat, der sich der mannigfachen Wirkung des Nationalbank-Tafelsilbers am Aktienmarkt annimmt.

Hinweis: Dieser Artikel ist am 14. März 2022 als Meinungsbeitrag in der NZZ erschienen.