Vor 20 Jahren praktisch noch inexistent, sind Social Media heute fester Bestandteil unseres Alltags. Kaum jemand kann sich ihnen gänzlich entziehen. Die Jugendlichen schon gar nicht. Die Social Media nehmen ungebührlich viel Raum ein in unser aller Leben, direkt oder indirekt. Nicht selten sind sie aufdringlich, wollen einen mit “Doomscrolling” in einer Endlosschleife halten. Mit raffiniertesten psychologischen Tricks stehlen sie unsere Aufmerksamkeit, die sie dann an den Meistbietenden verkaufen. So funktioniert ihr Geschäftsmodell.

Und vor allem: Sie sind laut. Sie veranstalten eine Dauerkakofonie in den Köpfen, indem sie uns immer noch mehr, noch Krasseres von dem, was sie uns einzutrichtern beabsichtigen, um die Ohren schlagen. Das ist nicht nur unangenehm, sondern auch ungesund. Denn es ist genauso penetrant und schädlich, wie jeder andere Lärm auch, dem wir ungeschützt ausgesetzt sein können: Strassenlärm, Baulärm, Fluglärm, zu laute Musik, Geschrei, Knaller und Böller.

Aus gutem Grund gibt es eine Lärmschutzverordnung, die uns vor übermässigem Lärm schützt. Der Lärm von Fahrzeugen darf einen bestimmten Pegel nicht überschreiten, Menschen dürfen bei der Arbeit oder an Musikkonzerten nicht übermässigem Lärm ausgesetzt werden und zu bestimmten Tageszeiten gilt es, ruhig zu sein. Das ist sinnvoll und hat sich bewährt. Niemand möchte dauerhaft Lärm ertragen müssen. Es würde einen in den Wahnsinn treiben. 

Was eh schon laut ist, wird verstärkt

Diese Logik sollten wir auch bei der Regulierung von Social Media anwenden. Sie sollen keine übermässige Lärmbelästigung mehr in Form von Fake News, Hass und Polarisierung veranstalten dürfen. Ich höre schon den Einwand der Betreiber: «Wir sind nicht für die Inhalte verantwortlich, die kommen nicht von uns.»

Das mag sein. Was sie aber sehr wohl verantworten, sind die Algorithmen, mit denen die, die ohnehin schon am lautesten schreien, noch weiter verstärkt werden. Gerade Jugendliche können sich der perfiden Dopamin-Manipulation schwerlich entziehen. Schutz davor, fordern mittlerweile auch die Jugendlichen selber. Das war sogar eine der Hauptforderungen der diesjährigen Jugendsession. Es gibt kein Recht, einem systematisch Aufmerksamkeit und wertvolle Lebenszeit zu klauen.

Algorithmen in den Griff bekommen

Der Bundesrat hat vor einigen Tagen, nach viel zu langem Zaudern, endlich eine Plattformregulierung publiziert. Er schafft damit die Basis, die Plattformen besser in die Pflicht nehmen zu können. Insgesamt ist die Vorlage aber sehr handzahm, das Thema der aufpeitschenden Algorithmen wird nicht adressiert. Und Jugendschutz? Fehlanzeige! So sind gerade Eltern weiterhin auf sich gestellt und müssen mehr oder weniger hilflos dabei zusehen, wie ihre Kinder nicht von den Screens wegkommen. Hier muss das Parlament nachbessern.

Erst wenn das Problem der süchtig machenden Algorithmen angegangen wird, werden Social Media ihr durchaus nützliches Potenzial entfalten und einen Informations- und Kommunikations-Mehrwert schaffen. Zugleich werden wir befreit von dem Dauergeschrei, das Gesellschaften bis in die Familien hinein spaltet und Kinder und Jugendliche abhängig macht, sie psychisch leiden und am hässlichen Lärm der Welt verzweifeln lässt.  

Hinweis: Dieser Text ist als Parldigi-Kolumne auf Inside-IT erschienen